Wie der Influencer und Unternehmer Fynn Kliemann Schutzmasken aus Bangladesch und Vietnam als „fair“, „in Europa produzierte“ Masken verkaufte

Im Frühjahr 2020 macht Fynn Kliemann bundesweit Schlagzeilen. Der Influencer und Unternehmer verkündet auf Instagram, mit seinem Geschäftspartner Tom Illbruck die eigene faire Textilproduktion in Europa auf Maskenproduktion umzustellen. Tausende Masken können Kliemann und Illbruck nun jeden Tag „fair“ in Europa produzieren. 

Kurze Zeit später gibt sich Fynn Kliemann als „einer der größten Masken-Produzenten Europas“. Die Masken verkauft er zum Selbstkostenpreis: „Es geht in dieser Krise nicht darum, Geld zu verdienen, sondern darum, möglichst vielen Menschen zu helfen, die gerade dringend Hilfe brauchen.“ (Weser Kurier)

Nach Recherchen des ZDF Magazin Royale sind Darstellungen von Fynn Kliemann und Tom Illbruck zu Produktionsorten und dem Verkauf zum Selbstkostenpreis der Masken falsch. 

Fynn Kliemann gab gemeinsam mit seinem Geschäftspartner Tom Illbruck, Geschäftsführer von „Global Tactics”, in Bangladesch und Vietnam im großen Stil produzierte Masken als „fair“ und „in Europa produziert” aus, log über seinen geplanten Profit, betrog seine Kund:innen und täuschte die Öffentlichkeit und seine Fans.

Darüber hinaus verschickten Fynn Kliemann und Tom Illbruck 100.000 unbrauchbare Masken aus Bangladesch, die ihnen der Hersteller umsonst überlassen hatte, an Geflüchtetenunterkünfte in Griechenland und Bosnien. Sie inszenierten sich mit den mangelhaften Masken öffentlichkeitswirksam als Wohltäter – als „Unternehmer, die sich gesellschaftlich verantwortlich fühlen“ (Business Insider). Illbruck führt in diesem Artikel weiter aus: „Das fühlt sich schon megageil an… die Menschen sind uns so dankbar. Ich meine – wir haben zur richtigen Zeit die richtigen Entscheidungen getroffen und waren Vorreiter. Das war irgendwie auch unsere Pflicht.“ 

Kliemann war in wichtige Entscheidungen des Maskendeals eingebunden

Fynn Kliemann und Tom Illbruck nutzten seit 2020 immer wieder bewusst Kliemanns Prominenz, die scheinbare Integrität und das positive öffentliche Image des „okaysten Menschen der Welt“, der „alles selbst und alles richtig“ macht (Frankfurter Allgemeine Zeitung), um Kund:innen, Geschäftspartner:innen, Medien, Hilfsorganisationen und die Öffentlichkeit zu täuschen.

Für diese Recherche wertete das ZDF Magazin Royale interne Chats, Sprachnachrichten, E-Mails, Lieferscheine, Auftragsbestätigungen, Fotos, Videoaufnahmen und Anruflisten aus. Sie belegen, dass Fynn Kliemann gemeinsam mit dem Textilproduzenten „Global Tactics” millionenfach Masken in Bangladesch und Vietnam produzieren ließ, um sie in Deutschland als „faire Masken aus Europa” zu verkaufen.

Die dem ZDF Magazin Royale vorliegenden Dokumente belegen, dass Fynn Kliemann in wichtige Entscheidungen und Details zu Produktion, Lieferung und Verkauf der Betrugsware persönlich eingebunden war.

Das ZDF Magazin Royale hat Fynn Kliemann und Tom Illbruck am 29. April 2022 einen Fragenkatalog übersandt und ihnen Gelegenheit und Zeit gegeben, selbst Stellung zu beziehen. 

Fynn Kliemann beantwortete die Fragen erwartungsgemäß nicht schriftlich. Stattdessen inszenierte und veröffentlichte er am 1. Mai 2022 – seinem Geburtstag – für seine 800.000 Follower:innen auf Instagram ein 30-minütiges Video mit einer vorgeblich transparenten, ehrlichen und offenen Stellungnahme. Dabei verschwieg er aber für die Öffentlichkeit relevante Informationen. 

Tom Illbruck beantwortete die Fragen des ZDF Magazin Royale schriftlich und nicht öffentlich. 
Die Antworten von Kliemann und Illbruck sind in der Recherche berücksichtigt.

Wer ist Fynn Kliemann?

Fynn Kliemann startete seine Karriere als Influencer 2015 mit tollpatschigen Heimwerkervideos auf YouTube. Unfälle, umstürzende GoPros und der akrobatische Einsatz von Schweißgeräten begrenzten zwar den handwerklichen Mehrwert für Bastler:innen, sorgten jedoch für unterhaltsame Clips und zeichneten das Bild eines unbeholfenen, aber liebenswürdigen „Allroundtalents” (Recklinghäuser Zeitung).

Kliemann erreichte ein Millionenpublikum und expandierte. Gemeinsam mit den Geschäftsführern der TV-Produktionsfirma „Cineteam Hannover” erwarb er 2016 einen Reiterhof im niedersächsischen Rüspel. Aus dem Hof wurde das „Kliemannsland”, Veranstaltungsort für die hauseigene YouTube-Produktion und darüber hinaus ein Treffpunkt für Kreative aller Art – mit Kunstatelier, Tonstudio, Café und selbstgebauter Achterbahn.

Über 50.000 Fans registrierten sich als „Bürger:innen” der „Kreativstätte unbegrenzter Möglichkeiten”, deren Inszenierung auf YouTube bis zum Jahr 2020 von NDR und funk finanziert wurde.

Neben dem „Kliemannsland” startete der Namensgeber zahlreiche weitere Unternehmungen, darunter die Produktion mehrerer Musikalben, den Anbau von Hanf für CBD-Produkte und die Vermietung von Ferienunterkünften. Mittlerweile umfasst Kliemanns Firmennetzwerk mindestens acht Unternehmen, zwei GbRs und eine Holding zur Vermögensverwaltung.

Die Nähe zu seinem Publikum ist schon seit langem wesentlicher Bestandteil einer PR- und Werbestrategie, um Kliemanns weitreichende Produktpalette von der Vermietung von Ferienunterkünften bis zu Astrologiekursen im „Kliemannsland“ an seine Community zu bringen. Gestützt wird diese Strategie durch seine konsequente Selbstdarstellung als nachhaltiger und umweltbewusster Unternehmer. Dieses Image und das aufgebaute Vertrauen nutzte Fynn Kliemann auch im Zuge des Betrugs mit Masken aus Bangladesch und Vietnam.

Wichtiger Bestandteil von Fynn Kliemanns unternehmerischen Tätigkeiten ist die Produktion von Kleidung. Hierbei suchte er sich schon früh Tom Illbruck, Geschäftsführer des Textilunternehmens „Global Tactics”, als Partner für seinen Online-Shop oderso.cool aus. Von Beginn an spielten nachhaltige und faire Produktionsbedingungen eine wichtige Rolle für die beiden. Anders als viele andere Modemarken gaben Kliemann und Illbruck an, nicht in Asien produzieren zu lassen, sondern Merchandising-Kleidung zuerst in Portugal, später dann zusätzlich auch in Serbien herzustellen: „oderso wird fair in Europa produziert unter Produktionsbedingungen, die allen Beteiligten ein gerechtes Einkommen garantieren.” 

Sehr wichtig schienen Fynn Kliemann dabei die Herkunft der Kleidung und eine transparente Lieferkette zu sein. Zum Beispiel sagte er im Februar 2021 im Podcast „(un)aufgeklärt“:

„Wenn wir ‘nen Stoff produzieren oder ‘nen Stoff besorgen, muss man sich genau erkundigen, wo kommt der eigentlich her, wo wurde der gefertigt, wo ist der denn hingegangen? Wenn du das nicht überblickst, hast du verloren, dann wird Scheiße durch die Welt geschickt und am Schluss wird dann ein portugiesischer Stempel drauf gemacht. Ist auf einmal europäische Ware, ist aber keine.” 

Neben Fynn Kliemann verkaufen weitere Prominente Merchandise über „Global Tactics”: Clueso, Juju, Silbermond, No Angels, Stefanie Heinzmann oder OK Kid. Sie alle setzen auf faire Waren aus Europa und wurden Teil der „Global Tactics”-Familie.

Fynn Kliemann behauptet in seiner Instagram-Stellungnahme am 1. Mai 2022, bis zu seiner 20-prozentigen Unternehmensbeteiligung im Jahr 2021 ausschließlich „Kunde” von „Global Tactics” gewesen zu sein. Geschäftsführer Tom Illbruck bestätigt das in seiner Stellungnahme: „Global Tactics Textilmanufaktur e.K. hat im Zeitraum 2019-2021 für Fynn Kliemann Textilien produziert & versendet.“ 

Die Recherchen des ZDF Magazin Royale belegen jedoch, dass Fynn Kliemann schon 2020 eng in die Produktionsabläufe involviert war und selbst Geschäftspartner für das Unternehmen anwarb. Als „Global Tactics“ im Frühjahr 2020 seine vermeintlich ausschließlich europäische Maskenproduktion startete, nahm Fynn Kliemann eine zentrale Rolle bei der Planung und Durchführung des Maskenbetruges ein.

Warum ließ Fynn Kliemann Masken produzieren?

Zu Beginn der Coronapandemie, im Frühjahr 2020, braucht Deutschland dringend Masken.  Also entscheiden sich Fynn Kliemann und Tom Illbruck, Geschäftsführer von „Global Tactics“, dafür, die Textilproduktion in Portugal und Serbien umzustellen und Masken zu produzieren. 

Am 31. März 2020 veröffentlicht Kliemann dazu einen Instagram-Post und erklärt, „fair produzierte, wiederverwendbare Mundbedeckungen aus Europa“ herzustellen. Die Masken kosteten nur ein Zehntel von denen der „überteuerten Profitgeier“. Kleine Mengen der Masken könnten über Kliemanns Shop bestellt werden. „Brauchst du mehr, schreib an maske@fynn-kliemann.de und sprich alles mit meinem Team von @globaltactics durch“, schreibt Kliemann.

Die Masken kommen für viele Menschen in Deutschland genau zur richtigen Zeit. Und Kliemann und Illbruck können die Produktion sogar noch ausbauen. „Eine Woche später sind wir einer der größten Masken-Produzenten Europas“, schreibt Kliemann in einem weiteren Instagram-Post. Allein in Portugal würden 40.000 Masken pro Tag produziert.

Auch wenn Kliemann erst 2021 Gesellschafter von „Global Tactics“ wird, so tritt er schon 2020 als Teil des Unternehmens und Partner von Tom Illbruck auf – nicht nur auf Instagram, sondern auch in Gesprächen mit Journalist:innen. So heißt es in einem Artikel des Musikexpress vom 28. April 2020: ​​

„,Nach Masken gibt es eine Nachfrage, die Dinger sind aber überall zu teuer. Ich hab mir gedacht, dass das nicht wahr sein kann, dass das nicht günstiger geht.’ Kurze Zeit vorher habe er eine Nachricht aus der Fabrik seiner Merchandise-Firma in Portugal erhalten. Durch die Corona-Pandemie seien dort fast alle Aufträge storniert worden. ,Dann hab‘ ich gesagt: Ey, probiert doch mal Masken. […]’ 10.000 Exemplare gibt Fynn Kliemann anfangs in Auftrag, gedacht für Abnehmer wie Pflegeeinrichtungen und Krankenhäuser.“

Kliemann und Illbruck verkaufen die Masken über Kliemanns eigenen Onlineshop „ODERSO“ (Website aus dem Mai 2020). 

Außerdem gibt es Kliemanns „ODERSO”-Masken bei dem Online-Modeversand „About You“ zu kaufen. Dort sind die Masken auch zum Zeitpunkt der Veröffentlichung dieser Recherche noch im Sortiment.

Für dieses Engagement in der Coronapandemie wurde Kliemann im Dezember 2020 beim Deutschen Nachhaltigkeitspreis ausgezeichnet.

Wo wurden die Masken wirklich produziert?

Dem ZDF Magazin Royale liegen umfangreiche Belege vor, dass Kliemann und Illbruck einen großen Teil ihrer „fairen Masken aus Europa“ nicht in Portugal oder Serbien, sondern in großem Stil in Bangladesch und Vietnam produzieren ließen. Das zeigen Lieferscheine, E-Mails, iMessages, Auftragsbestätigungen, Schnittmuster, Videos und Fotos aus den jeweiligen Textilfabriken sowie ein Urteil des Landgerichts Kleve.

WhatsApp-Nachrichten von Fynn Kliemann belegen außerdem, dass er persönlich die Maskenproduktion in Asien in die Wege geleitet hat. 

Außerdem zeigen E-Mails und iMessages, dass „Global Tactics“ den wahren Produktionsstandort vor seinem Großkunden „About You“ vertuschen wollte. Fynn Kliemann war durch E-Mails, die dem ZDF Magazin Royale vorliegen, über die Verschleierungspläne von „Global Tactics” und entscheidende Details informiert.

Wie alles anfing:

Einen Tag, nachdem Kliemann auf Instagram im Frühjahr 2020 ankündigt, nun Masken zu produzieren, wendet er sich an einen ihm bekannten Textilhersteller, der ausschließlich in Asien produziert. In einer WhatsApp-Nachricht schreibt Kliemann: „dann stell doch mal n paar Preise zusammen und dann gehen wir shoppen“.

In einer Sprachnachricht am folgenden Tag, dem 2. April 2020, bekräftigt Kliemann seinen Wunsch, Masken in Asien produzieren zu wollen: „Wenn du was hast mit Preisen und Stückzahlen, die du hast, dann check ich das mal und vernetze dich mit Tom.“ Kliemann macht in der Sprachnachricht außerdem klar, dass er Masken ohne „medizinischen Ansatz“ und „ohne medizinische Zertifizierung“ möchte.

Der Textilhersteller schreibt Kliemann am 6. April 2020 per WhatsApp: „In Bangladesh Kann ich ab sofort 1.000.000 pro Woche bekommen, falls der Bedarf steigt. Hier könnte die Story armen zu helfen am besten passen“. 

Der Textilhersteller schreibt Fynn Kliemann, dass die vorgebliche Geschichte, armen Menschen zu helfen, in Bangladesch am besten für Kliemanns PR- und Marketingstrategie geeignet sein könnte. Kliemann antwortet darauf: „Gut zu wissen“. 

Wenige Minuten später schreibt er: 

„Dann lass erstmal nur Bangladesch machen?!” 
„Wenn da die Kappa am Ende am schnellsten hochgefahren werden kann“
„der preis stimmt und die den Stoff haben”

Wenig später fangen die Näher:innen in Bangladesch an, Kliemanns „ODERSO“-Masken zu produzieren. Diese Masken werden in die Lagerhalle von „Global Tactics“ in Issum (Nordrhein-Westfalen) und teilweise direkt zum Großabnehmer „About You“ geschickt, wie Lieferscheine belegen, die dem ZDF Magazin Royale vorliegen.

Dem ZDF Magazin Royale liegen außerdem Fotos von Schnittmustern aus einer Textilfabrik in Bangladesch vor, die „ODERSO“-Masken mit der Aufschrift „A) Fynn“ zeigen.

Als sich eine Lieferung mit Masken aus Bangladesch verzögert, verschickt Kliemann am 22. April 2020 eine aufgebrachte E-Mail. „Eieiei, die Ware ist jetzt noch im Zoll? Die sollte doch gestern ankommen? Das klingt schon mal beschissen“, schreibt er. „Wir brauchen ganz dringend zuverlässige Termine. Ab jetzt keine Verzögerungen mehr, sonst lass uns lieber direkt hier stoppen und das ganze abbrechen.“

Auf Anfrage des ZDF Magazin Royale räumt Illbruck ein, Masken „über einen deutschen Handelspartner“ auch in Bangladesch produziert zu haben und verweist mit Blick auf die Produktionsbedingungen in Bangladesch auf gängige Branchen-Siegel: „Der deutsche Lieferant hat uns eine BSCI und Oekotex Zertifizierung seiner Fertigungsstätten dargelegt […].”

Illbrucks Vertrauen in Gütesiegel der Branche ist neu: Noch im Februar 2021 äußerte er sich kritisch. Siegel für faire Produktionsbedingungen in Bangladesch seien kaum ernst zu nehmen: 

„Allerdings, und das ist unser Aufhänger, gehen diese Zertifikate gerade in Hinblick auf soziale Standards nicht weit genug und suggerieren die Sicherheit, ein durchweg faires Produkt zu kaufen. Und das ist oft ein trügerisches Gefühl. Das Gros der Kleidung, die als fair gehandelt gelabelt ist, kommt nach wie vor aus Südostasien, primär aus Bangladesch”, referiert Illbruck im STERN mit dem Verweis, dass sich solche Zertifikate an nationale Vorgaben wie dem Mindestlohn in Bangladesch orientierten. „Wenn ein faires Label nur garantiert, dass der staatlich verordnete Mindestlohn gezahlt wird, der aber von vorne bis hinten nicht für ein auskömmliches (Über-)Leben reicht, ist das einfach nur Green- beziehungsweise Socialwashing.”

Diese Einschätzung bestätigen auch die Recherchen des ZDF Magazin Royale. Ein Verantwortlicher einer der Fabriken in Bangladesch, in der „Global Tactics“ seine Masken produzieren ließ,  erklärt auf Nachfrage, dass der durchschnittliche Monatslohn seiner Angestellten bei 130 Dollar liege. Dieses Einkommen liegt zwar über dem Mindestlohn in Bangladesch, beträgt aber nur etwa die Hälfte des Existenzminimums. Laut „The Global Wage Coalition“, einem Netzwerk zum Schutz von Arbeiter:innen, lag das Existenzminimum in Bangladesch im vergangenen Jahr bei 255 Dollar pro Monat.

Näher:innen bei der Fertigung von „ODERSO“-Masken

Kliemann und Illbruck bestellen aber nicht nur Masken aus Bangladesch, sondern auch aus Vietnam. Das zeigen unter anderem Lieferscheine und Auftragsbestätigungen, die dem ZDF Magazin Royale vorliegen.

Die Recherche zeigt, dass Kliemann und Illbruck im Jahr 2020 mindestens 2,3 Millionen Masken in Bangladesch und Vietnam in Auftrag gegeben haben. In der Öffentlichkeit sprechen beide bis heute nur von Masken aus Europa. 

Auf Anfrage bestätigt Tom Illbruck, „> 500.000 Masken“ in Bangladesch in Auftrag gegeben zu haben. Die genaue Menge und Auftragslage sei unklar und Teil eines schwebenden Verfahrens. Illbruck bestreitet allerdings auf wiederholte Nachfrage, die Produktion von Masken in Vietnam in Auftrag gegeben zu haben. Unterlagen, die dem ZDF Magazin Royale vorliegen, zeigen jedoch eindeutig, dass Illbruck sehr wohl Masken aus Vietnam bestellte und an seinen Kunden „About You“ liefern ließ. 

Wie sollte der Maskenbetrug verheimlicht werden?

Der Online-Versand „About You“ verkauft die Masken von „ODERSO“ auf seiner Seite bis zur Veröffentlichung dieser Recherche mit dem Zusatz: „Ursprungsland: Portugal“. 

Nachrichten von Tom Illbruck legen nahe, dass das Unternehmen zunächst bewusst getäuscht werden sollte. So fragt Illbruck den Maskenproduzenten am 18. April 2020: „bekommen wir die Kisten neutral ohne Bangladesh als Ursprung hin?“

Einige Wochen später kommt es wegen der Coronapandemie zu Lieferverzögerungen bei den Maskenlieferungen aus Asien. Illbruck reagiert darauf in einer E-Mail: „Die [Probleme mit der Lieferung] verstehe ich, aber About You kann sie nicht verstehen, da wir ja als europäischer Produzent auftreten 😉 LG, tom“.

Ein weiteres Problem ist, dass aus Vietnam gelieferte Kartons bei ihrer Ankunft in der Lagerhalle in Deutschland trotz Illbrucks Bitte, das Herkunftsland auf den Kartons unkenntlich zu machen, nicht neutral gelabelt sind. Das bemängelt ein Mitarbeiter von „Global Tactics“ in einer E-Mail. Fynn Kliemann ist in Kopie gesetzt.

Wie viel Geld haben Kliemann und Illbruck mit den Masken verdient?

Kliemann äußerte im Frühjahr 2020 auf Instagram und Twitter heftige Kritik an Unternehmer:innen, die „überteuerte“ Masken verkauften. In einem Interview mit Focus Online sagte Kliemann: „Man sollte sich an einer solchen Krise nicht bereichern.“ Er verkaufe die Masken zu einem Preis, zu dem sich die Produktion „gerade so“ trage. „Wir wollen damit nichts verdienen“, sagte Kliemann.

Recherchen des ZDF Magazin Royale legen nun nahe, dass Illbruck und Kliemann mit den Masken einen Gewinn in Millionenhöhe geplant hatten. Wie hoch dieser Gewinn tatsächlich ist, wollten weder Kliemann noch Illbruck auf Anfrage beantworten.

Die Produktionskosten lagen in Bangladesch bei 40 Cent pro Maske, das bestätigt Illbruck auf Anfrage. Diese Angabe deckt sich mit den Auftragsbestätigungen für Bangladesch. Auftragsbestätigungen für Vietnam, die dem ZDF Magazin Royale vorliegen, zeigen, dass die Produktionskosten dort pro Maske bei 45 Cent pro Stück lagen.

In diesem Preis sind Material, Produktion und Transport in die Lagerhalle von „Global Tactics“ beziehungsweise „About You“ in Deutschland enthalten.  

Auf der Website von „Global Tactics“ bezahlten Großkund:innen bei einer Bestellung ab 100 Masken 98 Cent, ab einer Bestellung ab 10.000 96 Cent, ab 20.000 Masken 93 Cent pro Stück. Setzt man diesen Verkaufspreis ins Verhältnis zum Einkaufspreis von 40 beziehungsweise 45 Cent, so konnte allein bei den 2,3 Millionen in Asien produzierten Masken mit über einer Million Euro Gewinn geplant werden. 

Auch durch die Produktion in Portugal und Serbien konnten Fynn Kliemann und Tom Illbruck Gewinne in Millionenhöhe einplanen. Illbruck erklärt auf Anfrage, dass die Produktion einer Maske in Portugal zwischen 50 und 53,5 Cent und in Serbien 45 Cent gekostet habe. 

Kliemann verkaufte die Masken aus Portugal und Serbien in seinem Online-Shop oderso.cool für 2,20 Euro pro Stück – zuzüglich Versandkosten.

In seiner Stellungnahme vom 1. Mai 2022 sagte Kliemann, er habe „Global Tactics“ die Masken abgekauft. Den Versand zu den Privatkund:innen hätte dann „Global Tactics“ übernommen: 

„,Global Tactics’ hat die Masken verkauft, mir dann verkauft und ich habe sie weiterverkauft. […] ich habe einen Deal mit ,Global Tactics’ so wie alle anderen Kunden da auch, das läuft immer in Warenwirtschaften so, oder wenn Leute das verpacken, für diese ganzen unsichtbaren Zwischenarbeiten. In dem Fall war das Konfektionieren, fünf Masken in eine Tüte packen oder zehn, dann verpacken, verschicken, retournieren, Kundensupport, irgendein Paket geht bei DHL verloren, das wiederfinden, dem Kunden erstatten, und so weiter, das nennt man Fulfillment. Und dieses Fulfillment macht ,Global Tactics’ für mich auch und kriegt dafür eine Beteiligung am Netto-Umsatz.“

Zumindest die Masken aus Bangladesch wurden bereits in Zehnerpaketen verschickt. Kund:innen, die in Kliemanns Shop Masken kaufen wollten, zahlten zudem Versandkosten. Retouren waren ausgeschlossen.

Illbruck gab auf Anfrage an, 3,3 Millionen Masken verkauft und damit 2020 einen Umsatz von 2,8 Millionen Euro erwirtschaftet zu haben. Außerdem erklärte er, dass Kliemann im Jahr 2020 nicht an „Global Tactics“ beteiligt gewesen sei, sondern eine „reine Handelsgeschäftsbeziehung“ vorgelegen habe. „Global Tactics“ habe Kliemann nicht bezahlt. Seit der ersten Jahreshälfte 2021 ist Kliemann mit jeweils 20 Prozent an der „Global Tactics Service & Fulfillment GmbH“ und der „Global Tactics Produktion GmbH & Co. KG“ beteiligt.

Dass Fynn Kliemann bewusst war, dass sich in der Coronapandemie eine Menge Geld verdienen lassen könnte, zeigt sich unter anderem in der Korrespondenz mit einem Zwischenhändler: Während der Ausarbeitung des Deals mit asiatischen Masken am 10. April 2020 weist der Maskenproduzent Fynn Kliemann per WhatsApp auf die enormen Profite hin, die chinesische Hersteller zu diesem Zeitpunkt mit Masken erzielten: „Was die Chinesen an Geld drucken gerade, Wahnsinn.” Kliemanns Antwort: „ja das ist echt verrückt. Krise kann auch geil sein”.

Wie lief das mit den gespendeten Masken?

Nicht nur die Produktion und der Verkauf von Masken wurden von Kliemann und Illbruck als Wohltätigkeit inszeniert, sondern auch mehrere öffentlichkeitswirksame Spenden an Geflüchtete. 

Recherchen des ZDF Magazin Royale zeigen nun, dass darunter 100.000 Masken von unzureichender Qualität waren:  

Im April 2020 gab „Global Tactics“ jeweils 100.000 Masken in Vietnam und Bangladesch in Auftrag, um die Lieferung für weitere Mengen zu testen. Die Lieferung aus Bangladesch stellte sich jedoch als qualitativ minderwertig und nicht für den Verkauf geeignet heraus. Das geht aus einem Urteil des Landgerichts Kleve vom 4. März 2022 hervor.

Interne Chats und die Stellungnahme von Tom Illbruck belegen, dass Illbruck beschloss, die mangelhaften bangladeschischen Masken an Geflüchtetenlager in Griechenland und über eine in Kroatien ansässige Organisation nach Bosnien zu schicken. So bat Tom Illbruck einen Geschäftspartner um die Übersendung von 50.000 unzureichenden Masken.

Illbruck bestätigt auf Anfrage die „Übergabe” von Masken an Organisationen, die in Griechenland und Bosnien tätig sind. Während im Chatverlauf noch von einem Camp auf Samos die Rede ist, behauptet er dem ZDF Magazin Royale gegenüber, die Masken nach Lesbos verschickt zu haben. Illbruck erklärt, der Hersteller habe ihm die Testproduktion aus Bangladesch „zur Weitergabe“ überlassen. Dass es sich um eine Spende von minderwertigen Masken handelte, die Träger:innen einen deutlich verringerten Infektionsschutz bieten, ließ Illbruck in seiner Antwort unerwähnt.

Laut der E-Mail eines Zwischenhändlers von Illbruck und Kliemann waren die Masken „einlagig statt doppellagig”, ihre Gummibänder waren von unterschiedlicher Länge und die Nähte lösten sich viel zu leicht.

Hier zum ganzen Thread:

Stand: 9. Mai 2022